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Veröffentlichung von Maier/Narváez: "Kartei des Terrors"

News vom 15.02.2022

Maier, Dieter ; Narváez, Luis: Kartei des Terrors : Notizen zum Innenleben der chilenischen Militärdiktatur (1973-1990) aus der Colonia Dignidad. Stuttgart, Schmetterling Verlag 2022. 318 S. ISBN: 3-89657-045-5. Mit zahlreichen abgebildeten Karteikarten.


Ankündigungstext

2005 fand die chilenische Polizei 2005 auf dem Gelände der deutschen Foltersiedlung Colonia Dignidad ein vergrabenes Waffenlager und, neben anderen Dokumenten, etwa 14.500 Karteikarten. Dieses Archiv ist das Lebenswerk eines Buchhalters des Terrors, Colonia-Mitglied Dr. Gerd Seewald. Er stellte es für die Pinochetdiktatur (1973-1990) zusammen. Am Ende der Diktatur wollte er es verbrennen, aber andere verboten es ihm, denn es könne sein, dass „Alles noch einmal von vorne losginge und das Archiv dann gebraucht werde.“ Auf diese Weise wurde ein Dokumentenbestand gerettet, der von den härtesten und konsequentesten Fraktionen der Diktatur in Chile, von ihrem Terror und ihren schmutzigen Tricks handelt.

Die chilenische Polizei digitalisierte nach dem Fund die mehr als 45.000 Karteikarten. Viele davon sind Zusammenfassungen von Beständen im Archiv der Colonia Dignidad, die entweder vernichtet oder zusammen mit den Karteikarten beschlagnahmt wurden. Heute liegen diese Dokumente im Nationalarchiv in Santiago.

Die Karten dokumentieren Folter und Mord an Regimegegnern in Echtzeit: "Wir haben gerade Renato Angulo in Haft und verhören ihn. Er hat nicht viel gesagt, aber wir hoffen, dass er es in Zukunft tut." Es gibt seitenlange Mitschriften von Verhören. Hunderte von Besuchern mitsamt ihren Lastern und Schwachpunkten kommen vor, darunter Militärs, Geheimdienstler, Behördenvertreter und politische Sympathisanten. Offenbar sammelte die deutsche Sekte hier Erpressungsmaterial. Patienten oder Besucher im Krankenhaus oder Gäste im Restaurant der Siedlung wurden ausspioniert. Oft entstanden bizarre Kommunikationen. Heterosexuelle „Normalität“ prallte auf die gut getarnte Geschlechtertrennung der Sekte und Sektenführer Schäfers Missbrauch an Jugendlichen. Es kam zu emotionalen Ausbrüchen, wie die Karten belegen.

 Maier/Narváez eröffnen einen neuen Blick auf die Colonia Dignidad. Sie war weit mehr als eine verschrobene Sektensiedlung. Sie war ein fester Bestandteil des chilenischen Unterdrückungsapparats. Sie war Folterort, Sitz der Folterschule von Pinochets Geheimdienst DINA, repressives Kommunikationszentrum und Ort geheimer Waffenproduktion. Das Karteikartenarchiv ist kein Sektenarchiv. Seewald legte es in Spanisch für die Diktatur an.

Die Colonia-Führung war sehr genau über die Gesellschaft hinter dem Siedlungszaun informiert

und nahm aktiv an den politischen Prozessen des Landes Teil. Zentrale Ereignisse der chilenischen Geschichte ab dem Wahlsieg des Sozialisten Salvador Allende 1970 werden aus der Sicht der Rechten im O-Ton der Akteure geschildert. Es ist die schmutzige Wäsche der Diktatur. Wer wissen will, wie Repression entsteht und arbeitet, findet in diesem Blick über die Schulter der Diktatur reichhaltiges Material.

Die thematischen Kapitel sind chronologisch, aber auch nach Regionen gliedert. Sie untersuchen die Repressionsagenturen und -akteure, die Zerschlagung des harten Kerns der linken Parteien und die Spionage in Gesellschaftbereichen wie Erziehung, Gesundheitswesen, Sexualität und Geschlechterrollen. In jedem Kapitel sind zahlreiche Karteikarten reproduziert.

Das Buch basiert auf einer von den Autoren erstellten zweisprachigen (span./dt.) Datenbank (www.fichas-chile.com), die es erlaubt, alle faktenbezogenen Passagen durch direkten Zugriff zu überprüfen. Weitergehende Forschungen werden dadurch wesentlich erleichtert. Das Buch ist aber separat ohne Einschränkung lesbar.

 

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